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Mädchen - Blog Posts

9 years ago

Frida K. und die Gravitation

Nach spassigem Plantschen mit meinem 13-jährigen Sohn im öffentlichen Schwimmbad sitze ich, erleichtert, etwas in Ruhe gelassen zu werden, ohne dass mein Sohn das Gefühl haben müsste, ich habe kein Lust mehr und ohne das ich zugeben muss, ich bräuchte Erholung vom Toben, noch etwas abseits des Beckens und gucke ihm beim Springen zu. Da bemerke ich, sehr wahrscheinlich ob unserer Halbnackheit mir etwas voyeurhaft vorkommend, ein junges, ca. 13-jähriges Mädchen,das an der vorderen Kante des Einmetersprungbrettes wippt – sie wippt prüfend unsicher den Schwerkrafttest auf dem Sprungbrett. Man sieht es ihr im Badeanzug an - es zeichnet sich  ein leichtes, zeitgenössisches  Übergewicht unter ihrer Haut ab; ein Übergewicht, von dem sie, ganz Unschuld, nichts zu wissen scheint. Es ist abends, nur noch wenige Kinder sind noch da. Das Mädchen versucht scheinbar, beim Wippen die Schwerkraft - eine Kraft, die sie zum Erdmittelpunkt zieht- zu überwinden;  dann springt sie - und scheint der Erdanziehung allzu rasch nachgeben zu müssen. Im Wasser angekommen, wird ihr Körper sofort zu verdrängender Masse, das Wasser scheint die Trägheit der Masse aufzunehmen, um es ihr als Echo schwappend zurückzugeben. Eben vermeinte sie noch, der Leichtigkeit entgegen zu springen; auf ihrem aus dem Wasser aufgetauchten Gesicht entdecke ich Enttäuschung über das jähe Ende des Sprunges, bestätigt durch die etwas übertrieben rasche Rückkehr auf das Sprungbrett. Ein weiteres Mal wippt sie vorn an der Kante, unverdrossen aber ernst, ja freudlos – dann hält sie inne,  geht zurück zum Anfang des Sprungbrettes, dreht sich um und nimmt Anlauf. Sie schafft es, nach federndem Absprung eine leichte Aufwärtskurve zu beschreiben, sie scheint für einen kurzen Moment zu schweben und landet danach unbeschwert im Wasser. Ihre Schwimmzüge, die sie an den Beckenrand bringen, drücken Zufriedenheit aus. Sie wiederholt den Vorgang soldatisch, hartnäckig und sehr ernsthaft, um den Erfolg zu manifestieren. Sie lässt dabei nichts  kindlich-spielerisches erkennen, als ginge es darum, eine Aufgabe technisch abzuarbeiten oder mehr noch, als ginge es darum, erwachsen zu werden. Ihre soldatischen Sprünge lassen sie pfeilgerade nach unten ins tiefe Wasser schiessen, ihre Arme sind dabei stramm gerade an den Körper gelegt. Andere Kinder springen vor und nach ihr auch von dem Brett, sie scheint mit ihrer Ernsthaftigkeit aber ein völlig anderes Ziel zu verfolgen als diese. Da bemerke ich, gelenkt durch einen Seitenblick des Kindes, eine Frau in einiger Entfernung am Beckenrand stehen, deren Physiognomie eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Künstlerin Frida Kahlo aufweist- strenges Gesicht mit bronzenem Teint, dicht zusammen stehende Augenbrauen,straffer dunkler Zopf nach hinten gebunden. Sie scheint Milde ausdrücken zu wollen, schafft es aber gerade eben, ihrer Tochter einigermassen unbeteiligt, ja fast emotionslos zuzusehen. Ihre Macht, die sich vom Beckenrand über das Wasser auf ihre Tochter ausdehnt, wird mit einem Mal erschreckend sichtbar. Es ist, als habe sie ihre Tochter heimlich ferngesteuert. Ein prüfender, dunkler Zehntelsekundenblick wird auf mich abgeschossen und erlischt. Ich gucke dankbar erleichtert zu meinem scherzend blödelndem Sohne hinüber, der nichtsahnend mich angrinsend ins Wasser springt.


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